Die „App-okalypse“: Warum Messenger-Bots das neue Betriebssystem sind

Vielleicht ist es dringend mal an der Zeit, über ein Phänomen zu sprechen, das Tech-Enthusiasten und Hardware-Profis auf unserer Seite schon wirklich lange beobachten. Nennen wir es die „App-Müdigkeit“. Es ist 2025, und unsere Smartphone-Homescreens sind digitale Friedhöfe.

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Da ist Duo von Duolingo, die immer wütender dreinblickt. Oder auch die Event-App für das längst vergangene Konzert. Wir haben doch alle sicher 50, 100, ja gar 200 Apps installiert, aber unser „digitaler Alltag“ findet in nur fünf Anwendungen statt. Die „Big Five“ sind meist Messenger wie WhatsApp und Telegram, soziale Medien wie Instagram oder „X“ und vielleicht noch der Browser, im besten Falle noch die Wetter-App, wenn das nächste Fenster mal wieder zu weit weg ist.

Selbst schuld?

Dieses „App-Ghetto“-Problem ist allerdings krass hausgemacht. Das Modell „Eine App für einen Zweck“ ist fundamental ineffizient. Es zwingt den Nutzer, ein „Silo“ herunterzuladen, nur um eine einzige Funktion zu nutzen. Das frisst Speicherplatz, erfordert Updates und nervt mega mit Push-Benachrichtigungen.

Der Markt für „Single-Purpose-Apps“ ist zwar riesig, aber er ist für den Nutzer eine Zumutung. Wenn Sie Pizza bestellen wollen, brauchen Sie die Lieferando-App. Wenn Sie Aktien handeln, die Trade-Republic-App. Und wenn Sie nach digitalem Entertainment suchen, suchen Sie vielleicht nach spannenden Online Casino Apps. Jede dieser Apps ist eine separate Welt, ein eigener Download, eine eigene Registrierung. Quasi logisch, dass dieses Modell an sein Limit gekommen ist.

Die Zukunft sieht anders aus. Sie ist „konversationell“. Sie findet nicht mehr in 100 verschiedenen Apps statt, sondern in einer Anwendung: dem Messenger.

Der „Super-App“-König: Was Asien dem Westen voraushat

Wer WeChat von Tencent noch nie benutzt hat, kann sich das Ausmaß kaum vorstellen. Es ist keine „Chat-App“. Es ist ein Betriebssystem für das Leben. Innerhalb dieser einen App kommunizieren über eine Milliarde Menschen, aber sie tun noch viel mehr. Sie rufen Taxis, sie bezahlen ihre Stromrechnung via WePay, sie buchen Arzttermine, sie lesen Nachrichten und sie spielen „Mini-Programme“.

Diese Mini-Programme sind der entscheidende Punkt. Es sind kleine, schlanke Apps, die innerhalb von WeChat laufen. Sie müssen nicht im Apple App Store oder Google Play Store heruntergeladen werden. Der Nutzer tippt auf ein Icon im Chat, das Mini-Programm startet sofort, und wenn er fertig ist, schließt er es.

Warum ist der Westen, allen voran Meta mit WhatsApp oder Elon Musks „X“, so entsetzlich langsam bei der Adaption dieses Konzepts? Einerseits wegen des Datenschutzes. Die „Alles-in-einem“-App ist der Albtraum jedes Regulierers und der feuchte Traum jedes Daten-Analysten. Andererseits, weil der Markt bei uns fragmentierter ist. Apple und Google kontrollieren die „Gates“ zu den Stores und verdienen 30 Prozent an jedem App-Verkauf. Sie haben kein Interesse daran, ihre Macht an einen Messenger abzugeben.

Telegram und Discord als „Nerd-Blaupause“

Während WhatsApp noch zögert, haben zwei andere Plattformen die „In-Chat“-Revolution längst eingeläutet, wenn auch aus einer „nerdigeren“ Ecke: Telegram und Discord.

Besonders Telegram ist ein Mekka für Bots. Für stetige Leser hier ist das nichts Neues. Bots in Telegram sind keine simplen „Spam-Skripte“. Es sind mächtige, Server-seitige Programme. Man kann seinen Linux-Server über einen Telegram-Bot steuern. Man kann sich Krypto-Preisalarme in Echtzeit schicken lassen. Und man kann komplexe Datenbank-Abfragen direkt im Chatfenster starten.

Discord, ursprünglich eine reine Voice-Chat-Lösung für Gamer, ist ein ähnlicher Fall. Discord-Server sind ohne Bots wie Midjourney für KI-Bilder oder Moderations-Bots wie MEE6 undenkbar. Sie sind das Fundament der Community.

Diese Plattformen beweisen: Der Nutzer verlässt das Chatfenster nicht mehr freiwillig. Wenn eine Funktion nicht als Bot oder Mini-App verfügbar ist, wird sie als „Reibung“ empfunden. Das „Frictionless“-Prinzip ist der neue Goldstandard.

„Conversational Commerce“: Wenn die KI zur App wird

Die alten Bots waren dumm, ganz banal gesagt. Sie funktionierten nach altbackenen „Wenn-Dann“-Befehlen. Die neuen Bots hingegen, aufgeladen mit den Sprachmodellen von OpenAI, Google oder Anthropic, sind „konversationell“ und damit fast schon intuitiv.

Das ist der „Conversational Commerce“. In Zukunft werden wir daher also wohl keine App mehr öffnen, um einen Flug zu buchen. Wir werden in unser WhatsApp tippen: „Hey Lufthansa-Bot, buch mir den günstigsten Flug nach München für nächsten Dienstag, Fensterplatz.“ Die KI versteht den Kontext, klar. Sie fragt nach der gewünschten Uhrzeit. Sie greift auf unser hinterlegtes Zahlungsmittel zu und schickt uns das Ticket als PDF direkt in den Chat. Und schon fertig.

Diese Interaktion ist unendlich viel effizienter als das Herunterladen einer 220-MB-App, das Navigieren durch fünf Menü-Ebenen und das lästige Eintippen der Kreditkartendaten.

Das Ende der Hardware-Schlacht? Der „Thin Client“ ist zurück

Was bedeutet dieser Software-Trend also für die „Hartware“, die wir so lieben? Er bedeutet einen fundamentalen Shift. Wenn die wichtigsten Anwendungen der Zukunft „Mini-Apps“ im Browser oder „Bots“ in Messengern sind, wird die lokale Rechenleistung des Endgeräts weniger wichtig. Das „Heavy Lifting“, also die KI-Berechnung, die Datenbank-Logik, die Grafik-Renderings von Spielen, passiert in der Cloud und wird mittlerweile von mehr als 73% aller Smartphone-Nutzer erwartet.

Das Smartphone oder der Laptop der Zukunft ist nur noch ein „Thin Client“. Es braucht kein 2-TB-Speichermonster und keine „Overkill“-CPU mehr, wenn alles gestreamt oder im Chat-Fenster ausgeführt wird. Es braucht nur noch zwei Dinge: ein exzellentes Display und eine Latenz-freie 5G- oder 6G-Verbindung. Und beides ist nicht mehr allzu ferne Zukunftsmusik.

Frank Schräer

Herausgeber, Chefredakteur und Webmaster

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